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Der Weltpokalsieger unter den Mbelbauern

Udo Hors­mann, wenn der FC Bayern Mün­chen in einem Cham­pions League-Halb­fi­nal­hin­spiel im Ber­nabéu-Sta­dion ohne Not in drei, vier Konter läuft, platzt ihnen da als ehe­ma­liger Bayern-Abwehr­spieler nicht der Kragen?
Die können doch gar nicht anders. Der FC Bayern unter Pep Guar­diola spielt immer nach vorne. Und mir gefällt das auch. Bei Barca hat mich unter Guar­diola irgend­wann das ewige Ball­her­um­ge­schiebe genervt. Aber beim FC Bayern ist das Spiel varia­bler. Es gibt nicht nur dieses Kurz­pass­spiel, son­dern auch lange Bälle, Dia­go­nal­pässe und Flanken. Und dazu dieses Pres­sing. Die Bayern-Spieler sind auch gegen Real extrem drauf gegangen und eroberten bei Ball­ver­lust sofort wieder die Kugel. Bis auf die Sturm­at­ta­cken, die wirk­lich sehens­wert waren, hat mich Real ent­täuscht. Da war kein Spiel­aufbau zu erkennen.
 
Trotzdem reichte es zu einem 1:0‑Sieg für Real – eine gefähr­liche Aus­gangs­lage für den FC Bayern vor dem Rück­spiel. Sie und Ihr Team reisten 1976 im Halb­fi­nale des Euro­pa­po­kals der Lan­des­meister mit einem 1:1 aus Madrid zurück nach Mün­chen.
Dank Gerd Müller. Der hat das 1:1 gemacht. Dafür bin ich ihm heute noch sehr dankbar. Mir war gleich zu Beginn der Partie ein Rie­sen­fehler unter­laufen. Mein miss­ra­tener Rück­pass auf Sepp Maier führte zum 1:0 für Real. Es war auch sonst nicht mein Tag. Ich musste gegen Amancio spielen…
 
… eine Real-Legende mit dem Spitz­namen El Brujo“, der Hexer.
Amancio war zwar schon 37 Jahr alt, aber immer noch ein wahn­sinnig schneller und drib­bel­starker Stürmer. Er hat mich an diesem Tag ziem­lich naiv aus­sehen lassen.
 
Viel­leicht hat Sie auch die Kulisse ein­ge­schüch­tert. Ein paar Monate zuvor kickten Sie noch für die SpVgg Beckum in der Ver­bands­liga West­falen und jetzt der Auf­tritt im Estadio Sant­iago Ber­nabéu.
110.000 Zuschauern – das war natür­lich schon gigan­tisch. Das Ber­nabéu ist eines der beein­dru­ckendsten Sta­dien, das ich kenne. Aber ich fühlte mich vor dem Anpfiff nicht ein­ge­schüch­tert. Über­haupt wun­dert es mich heute, wie schnell ich mich nach dem Wechsel zu Bayern in dieser Mann­schaft mit Welt­stars wie Becken­bauer, Müller oder Maier inte­griert hatte. Eigent­lich war ich kein Typ, der vor Selbst­ver­trauen förm­lich strotzte. Aber inner­halb kür­zester Zeit kam mir das alles wie selbst­ver­ständ­lich vor. Zum Zeit­punkt des Spiels in Madrid war ich schon relativ eta­bliert, obwohl ich erst neun Monate beim FC Bayern war. Doch dann pas­sierte der Fehler und für den Rest der Partie wurde es schwierig.
 
Gab es auf­bau­ende Wort von den arri­vierten Kol­legen?
Nein, daran kann ich mich nicht erin­nern. Ich weiß auch nicht, ob der Franz nach meinem Patzer seine abfäl­lige Hand­be­we­gung gemacht hat, die typisch für ihn war, wenn ein Mit­spieler den Ball nicht so spielte, wie er sich das vor­stellte.
 
Trotz des Aus­set­zers und der Pro­bleme gegen Amancio durften Sie im Rück­spiel wieder ran.
Das war tat­säch­lich erstaun­lich. Denn das erste Spiele ist wirk­lich nicht das Gelbe vom Ei gewesen. Die Presse war ent­spre­chend schlecht und dann bekommst du tat­säch­lich noch­mals eine Chance. Aber mit Dettmar Cramer hatten wir einen Trainer, der immer Ver­ständnis für junge Spieler hatte. Er hat Karl-Heinz Rum­me­nigge und mich wie Söhne geführt. Dettmar Cramer legte mit uns vor­mit­tags oft Son­der­schichten ein, um an Dingen zu arbeiten, wo er noch Schwä­chen sah. Becken­bauer, Müller und die andere kamen erst am Nach­mittag zum Trai­ning.
 
Das Rück­spiel gegen Real lief für Sie besser. Es heißt, es sei Ihr bestes Spiel im Dress des FC Bayern gewesen.
Das mag so sein. Ich drehte den Spieß um und hatte Amancio voll im Griff. Der war des­halb gefrustet. Zudem lag sein Team 0:2 hinten. Und dann hat er die Nerven ver­loren, drosch den Ball weg, als das Spiel schon unter­bro­chen war. Amancio hatte vorher schon Gelb gesehen und flog vom Platz. Wir zogen mit einem 2:0‑Sieg ins Finale ein.
 
Das der FC Bayern 1:0 gegen St. Éti­enne gewann.
Das war kein Glanz­stück. St. Éti­enne war besser. Uns flogen die Bälle um die Ohren. Doch dann zog Bulle Roth ab und es stand plötz­lich 1:0. An die Sie­ges­feier kann ich mich gar nicht mehr so erin­nern. Ich weiß nur noch, dass wir in einem edlen Schloss­hotel 50 Kilo­meter außer­halb von Glasgow unter­ge­bracht haben und die Rol­ling Stones dort auch näch­tigten. Wir haben die sogar getroffen.
 
Die galak­ti­schen Zeiten bei Real sind vorbei, aber mit Gareth Bale und Cris­tiano Ronaldo haben die König­li­chen aktuell zwei Super­stars in ihren Reihen. Wie war das 1976 bei Real Madrid?
Ich denke, das Real-Team von damals war nicht mit so vielen inter­na­tio­nalen Stars besetzt. Es gab Breitner und Netzer. Und Netzer war für mich zu jener Zeit eine absolut beein­dru­ckende Per­sön­lich­keit. Seine langen Haare, sein Lauf­stil – der Mann hatte Aus­strah­lung. Ich war als Zuschauer im Düs­sel­dorfer Rhein­sta­dion, als sich Günter Netzer im DFB-Pokal-Finale selbst ein­wech­selte und den Sieg­treffer gegen Köln schoss. Günter Netzer impo­niert mir heute noch. Ich habe großen Respekt vor ihm und würde ihn gern mal treffen. (Lacht) Aber er würde sich wahr­schein­lich nicht daran erin­nern, dass sich unsere Wege mal gekreuzt haben.
 
Der Einzug ins Finale des Euro­pa­po­kals der Lan­des­meister, der im dritten Titel­ge­winn in Folge gip­felte, war gleich­zeitig der End­punkt einer glor­rei­chen Zeit beim FC Bayern Mün­chen. War für Sie als Spieler schon zu spüren, dass die Mann­schaft ihren Zenit über­schritten hatte?
Es gab Anzei­chen, dass die gol­denen Jahre bald vorbei sein würden. In der Bun­des­liga war es schon länger nicht mehr so gut gelaufen. Ich glaube, in der Win­ter­pause lagen wir auf Platz zehn. Die älteren Spieler hatten ganz klar ihren Fokus auf den Euro­pa­pokal gerichtet, was auch ein Stück weit ver­ständ­lich gewesen ist. Wir hatten einen ver­gleichs­weise kleinen Kader und viele Spiele, der Ver­schleiß war hoch. Es waren nicht wie heute sämt­liche Posi­tionen dop­pelt besetzt. Das Rota­ti­ons­prinzip, das Ottmar Hitz­feld später ein­führte, konnte Dettmar Cramer nicht anwenden. Aber viel­leicht zeigte Cramer auch manchmal ein biss­chen zu viel Ver­ständnis für die Spieler.
 

Pep Guar­diola hat nach dem früh­zei­tigen Titel­ge­winn auf natio­naler Ebene die Bun­des­li­ga­saison für abge­hakt erklärt, den Fokus eben­falls voll auf die euro­päi­sche Königs­klasse gerichtet. Und er hat das auch noch nach außen so kom­mu­ni­ziert.
Das war ein Fehler. Ich habe den Ein­druck, dass die Bayern-Spieler einen wahn­sin­nigen Respekt vor Pep Guar­diola haben. Alles was er von sich gibt, wird von ihnen beachtet. Und wenn Pep Guar­diola sagt, den Titel haben wir, die Liga inter­es­siert uns nicht mehr, dann kommt das bei den Spie­lern so an. Seitdem zir­ku­liert der Ball nicht mehr so in den Reihen des FC Bayern Mün­chen wie zuvor. Es war immer ein Klas­sen­un­ter­schied zu erkennen. Das ist jetzt nicht mehr so. Auch David Alaba, mein Lieb­lings­spieler, hat etwas ver­loren. Das Zusam­men­spiel zwi­schen ihm und Ribery hat nach­ge­lassen. Aber Alaba selbst ist auch nicht mehr ganz so stark.
 
Sie waren wie Alaba linker Außen­ver­tei­diger…
Aber ich war bei weitem nicht so begabt wie David Alaba, mir fiel nichts zu. Ich kenne keinen Ver­tei­diger, der tech­nisch so bril­lant ist wie David Alaba. Er wirkt so geschmeidig. Über mich hat mein spä­terer Trainer Gyula Lóránt mal gesagt: Hors­mann ist wie Luft, aber ohne Luft geht es nicht.“ Ich glaube, er wollte damit sagen, dass ich sach­lich, unauf­fällig meinen Job erle­digt habe und damit ein wich­tiger Bestand­teil der Mann­schaft war. Ich war schon ein offen­siver Ver­tei­diger, aber ich zeich­nete mich vor allem durch die Zwei­kampf­stärke aus. Und die fehlt mir manchmal bei den modernen Ver­tei­di­gern. Das sind doch gar keine rich­tigen Abwehr­spieler mehr. Wir haben das Stel­lungs­spiel und das Zwei­kampf­ver­halten noch tag­täg­lich geübt. Das scheint mir heute nicht mehr der Fall zu sein.

Beckum hatte im Mai 1976 plötz­lich einen Fuß­ball­star, der den Euro­pa­pokal der Lan­des­meister gewonnen hatte. Wie war der Emp­fang in der Heimat?
Da wird man schon bestaunt. Die Glocke“, so heißt die ört­liche Tages­zei­tung, schrieb von unserem Udo“, der heim­kehrte. Auch später stand immer in der Zei­tung, wenn ich mal zu Hause bei meinen Eltern war. Und dann sind bis­weilen schon kuriose Dinge pas­siert. Zum Bei­spiel haben nachts Leute aus der Kneipe bei uns ange­rufen haben und gefragt, ob ich nicht vorbei kommen könnte, weil sie eine Wette am Laufen hätten und ein Bier­chen gewinnen würden, wenn ich plötz­lich am Tresen auf­tau­chen würde.
 
Und haben Sie den Zech­brü­dern den Gefallen getan?
Ich fand das lustig, sym­pa­thisch, habe aber dan­kend abge­lehnt.
 
Der Star­rummel war Ihnen nicht lästig?
Nein, das war okay. Ich fand das Leben als Fuß­baller ein­fach gut.
 
Aber Sie hatten den Ruf des Son­der­lings im Bayern-Team.
Das kam nach außen so rüber. Weil ich im Mann­schaftsbus Bücher las und nicht Karten spielte. Aber ich bin nicht der Ein­zige gewesen, der gelesen hat, und war kein Außen­seiter, son­dern gut inte­griert. Es war eine tolle Zeit bei Bayern. Ich emp­finde für diese Phase meines Lebens eine Art von Dank­bar­keit und Ver­bun­den­heit.
 
Vor Ihrer Pro­fi­lauf­bahn hatten Sie eine Schrei­ner­lehre absol­viert.
Ja, und ich habe auch noch vier Semester Innen­ar­chi­tektur stu­diert. Ich sollte mal den elter­li­chen Betrieb über­nehmen. Aber dann kam das Angebot vom FC Bayern. Und da konnte ich ja nicht nein sagen.
 
Später, nach Ende Ihrer Lauf­bahn, haben Sie sich Ihrer Aus­bil­dung erin­nert.
Zum Glück. Zuerst arbei­tete ich für einen Sport­ar­ti­kel­her­steller im Außen­dienst, was ja damals viele Ex-Fuß­ball­profis taten, später dann für eine Auto­firma. Aber ich habe mich dabei nicht wie­der­ge­funden. Es waren ein­fach nur irgend­welche Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisse, die mich nicht befrie­digten. Mir war dann klar, dass das ein Ende finden musste. In dieser Selbst­fin­dungs­phase bin ich auch für zwei Monate nach Malaga gegangen, um Spa­nisch zu lernen. Das ist ja das Schwie­rigste für einen Fuß­ball­profi: nach der Lauf­bahn eine neue Auf­gabe zu finden, die einen erfüllt. Das war zu meiner Zeit schon so und ist heute nicht anders. Irgend­wann kommt für jeden Berufs­fuß­baller der Tag, an dem Schluss ist.
 
Sie waren zehn Jahre Fuß­ball­profi, davon allein acht in Diensten des FC Bayern Mün­chen. Finan­ziell müssten Sie wenigs­tens aus­ge­sorgt haben.
Nein, ich musste schon noch was dazu ver­dienen. Der FC Bayern Mün­chen hat sicher zu jener Zeit schon mehr gezahlt als andere Bun­des­li­ga­klubs. Aber ich gehörte inner­halb der Mann­schaft zum unteren Drittel im Gehalts­ge­füge. Gene­rell waren die Gehälter deut­lich nied­riger als heute, wo sich ein Spieler des FC Bayern Mün­chen nach dem Kar­rie­re­ende sicher keine Gedanken mehr über Wohnen und Brot machen muss.
 
Sie spra­chen von einer Selbst­fin­dungs­phase. Wäh­rend dieser Zeit fingen Sie unter anderem damit an, Saxo­phon zu spielen und traten sogar mit einer Jazz-Band auf.
Nur ein ein­ziges Mal, in einer Gast­stätte in Schwa­bing vor viel­leicht 100 Zuhö­rern, dar­unter viele Freunde und Bekannte. Trotzdem war es viel auf­re­gender als vor 110.000 Zuschauern im Ber­nabéu-Sta­dion gegen Real zu spielen. Beim Fuß­ball wusste ich, was ich kann. Beim Saxo­phon-Spielen war das anders. Ich hatte schon immer ein Faible für dieses Instru­ment und habe dann drei, vier Jahre lang Unter­richt genommen. Heute spiele ich nicht mehr – ich will ja die Nach­barn nicht beläs­tigen.
 
Bei der Suche nach einer neuen Auf­gabe, kamen Sie schließ­lich auf den Holzweg…
(Lacht) Kann man so sagen. Das ist jetzt 15 Jahre her. Als Möbel­bauer fand ich sehr viel Selbst­zu­frie­den­heit. Ich habe eine kleine Werk­statt ange­mietet und arbeite dort vier, fünf Stunden am Tag – das bewegt sich alles im kleinen Rahmen. Es ist das Aus­leben einer Lei­den­schaft, aus der ich sehr viel Kraft ziehe. Gleich­zeitig bleibt mir noch genü­gend Zeit für meine Familie und Hob­bies.
 
Sie werben auf Ihrer Home­page mit dem Slogan Der Welt­po­kal­sieger unter den Möbel­bauern“.
(Lacht) Klingt ein biss­chen hoch­stap­le­risch… Aber ich behaupte ja nicht, dass ich als Möbel­bauer Welt­po­kal­sieger bin.
 
Unter anderem ent­warfen und bauten Sie ein spe­zi­elles Bord für die 28 Kilo­gramm schwere FC Bayern-Chronik 4 Sterne – 111 Jahre“.
Der Verlag, in dem die Chronik erschien, ist auf die Idee gekommen. Es hat richtig Spaß gemacht – aber es war auch richtig viel Arbeit. Ins­ge­samt 300 Bords habe ich ange­fer­tigt und mir dabei einen Ten­nisarm geholt. (Lacht) Der FC Bayern Mün­chen ist quasi Schuld daran, dass ich meine Ten­nis­kar­riere beenden musste.

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Patria Henriques

Update: 2024-11-25